Klimawandel: Es gibt keinen Plan B
Wir müssen künftig Solarmodule im gleichen Takt herstellen, wie wir heute Autos vom Band laufen lassen. Dies schreibt ETH-Klimaforscher Anthony Patt in seiner Replik auf einen Gastkommentar von Lino Guzzella, Jürgen Hambrecht und Lars Josefsson.
Man erzählt, dass Ende 1941, kurz nachdem die USA in den Weltkrieg eingetreten waren, Präsident Roosevelt die Verantwortlichen der amerikanischen Automobilindustrie zu einem Treffen einberief. Er erklärte ihnen, wie viele Flugzeuge, Panzer und Versorgungsfahrzeuge sie zu liefern hätten. Die Angesprochenen schreckten zurück. «Mr. Präsident», sagten sie, «das ist unmöglich. Dann können wir keine Autos mehr für die amerikanische Bevölkerung bauen.» Der Präsident antwortete: «Meine Herren, Sie verstehen nicht. Bis wir diesen Krieg gewonnen haben, liefern Sie dem amerikanischen Volk keine Autos.» Und er behielt recht. Am 1. Januar 1942 wurde der Verkauf von Zivilfahrzeugen eingestellt, und alle Produktionskapazitäten wurden auf Waffen umgestellt. Der Rest ist Geschichte, einschliesslich der Tatsache, dass die Automobilhersteller bei der Rückkehr zur Autoproduktion auf einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung trafen.
Wegfall aller Emissionen
Im Artikel «Das Klima und die Traumfabrik Europa» (NZZ 16. 1. 20) erläutert der ehemalige ETH-Präsident Lino Guzzella zusammen mit zwei führenden Vertretern der europäischen Industrie, was unmöglich sei: die Emissionen fossiler Brennstoffe bis 2050 zu eliminieren, und dies erst noch ohne Atomkraft. Nicht wenn die europäische Industrie überleben solle. Wir brauchten, schreiben sie, eine rationale Diskussion. – Meine Herren, Sie verstehen nicht.
Erstens nützt uns eine gesunde europäische Industrie wenig, wenn unsere Städte unter dem Meeresspiegel stehen und von Klimaflüchtlingen überflutet werden, die nach Nahrungsmitteln aus einem Agrarsektor dürsten, der nicht mehr weiss, wo er Süsswasser herbekommen soll. Unsere Lebensweise hängt vom Wegfall aller Emissionen fossiler Brennstoffe in den nächsten dreissig Jahren ab. Es gibt keinen Plan B.
Zweitens gibt es keine wirtschaftlichen Gründe mehr, um auf Atomkraft zu setzen, da die Kosten für erneuerbare Energien und Energiespeicherung derart gesunken sind. Es ist einfach kostengünstiger und ressourcenschonender, mit einer Kombination aus Sonne und Wind, ergänzt durch Batterie-, Wasser- und Wasserstoffspeicherung, zuverlässig Strom zu erzeugen.
Drittens findet eine rationale Diskussion bereits statt. Die EU, die USA, China und sogar die Schweiz haben grosse Summen in die Forschung gesteckt, um die Energiewende zu vollziehen. Die Ergebnisse dieser Forschung werden immer deutlicher: Wir haben die Technologien, die wir brauchen. Viele davon sind bereits weit fortgeschritten und übertreffen die fossilen und nuklearen Energietechnologien in jeder Hinsicht. Es gibt allen Grund zu der Annahme, dass die Innovation, die die Klimakrise auslöst, in den kommenden Jahrzehnten zu Energie und Energiedienstleistungen führen wird, die kostengünstiger, sauberer und sicherer sind, als dies bei fossilen Brennstoffen oder der Atomkraft je der Fall war. Viele führende Industrieunternehmen haben das verstanden und arbeiten an der Dekarbonisierung ihrer Branchen.