Freitag, 21. April 2023

Wie lebt England mit der Hitze? Noch schlecht

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Neue Perspektiven und Chancen in der globalen Klimadebatte

 

 

 

Wir wissen: In einer heisseren Welt werden Hitzewellen, Starkregen und viele andere extreme Wetterereignisse häufiger und intensiver werden. Mit jedem Zehntelgrad steigen die Risiken des Klimawandels für Städte und ihre Bewohner sowie die Natur. Davor warnen Forscher seit Jahren.

 

Das Problem: Politiker in Europa beschäftigen sich nur selten mit der notwendigen und kostspieligen Anpassung an eine heissere Welt. In Grossbritannien haben unabhängige Berater nun die Regierung schwer kritisiert. Das Land sei nicht vorbereitet.

 

Was bedeutet das, und wie kam es dazu? «Planet A» hat mit der grafischen Unterstützung von Adina Renner über den Ärmelkanal geschaut.

 

Mit der Hitze leben: Noch sind wir schlecht vorbereitet

 

 

 

 

von Kalina Oroschakoff

Klimajournalistin der NZZ

 

Es ist der 19. Juli 2022.

 

Das Thermometer zeigt 40,3 Grad Celsius.

 

Im kleinen Städtchen Coningsby in der englischen Provinz Lincolnshire wird ein Rekord gebrochen. So heiss war es seit dem Beginn der Messungen noch nie in England.

 

Monate später wird ein weiterer Höchstwert öffentlich gemacht: Die Hitzewellen in England im Juli und August führten laut offiziellen Daten mit knapp 3000 Toten zu den meisten hitzebedingten Todesfällen bei älteren Menschen, seit im Jahr 2004 der erste Hitzeplan erstellt wurde.

 

 

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Testlauf für die Zukunft

 

Letztes Jahr war kein Einzelfall. Mehr Hitzewellen sind zu erwarten. Die Auswirkungen des Klimawandels würden sich in den kommenden Jahren verschärfen, so die Warnung unabhängiger Regierungsberater des Climate Change Committee vor ein paar Wochen. Ohne bessere Planung und Vorbereitung mache sich das Land verwundbar.

 

So war die Hitzewelle nicht nur eine Belastung für viele Menschen und eine Bedrohung für ältere und schwache Bewohner des Landes. Sie zog auch weitere Folgen mit sich, die heute noch viel zu selten mitgedacht werden.

 

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Ein Beispiel ist die Stromversorgung. Letztes Jahr führte die Hitze auch zu lokalen Stromausfällen. Leitungen hingen durch, Transformatoren überhitzten. Gleichzeitig stieg die Stromnachfrage, was das gesamte Netz belastete.

 

Zu der Hitze kam die Trockenheit, mit Folgen für die Wasserversorgung. Das führte vergangenen Sommer auch zu vorübergehenden Einschränkungen der Wassernutzung durch lokale Unternehmen.

 

Mehr noch, die sehr heissen und trockenen Sommer führten zu einem hohen Waldbrandrisiko und einem weiteren deprimierenden Rekord: Das Land verzeichnete auch noch die höchste jährliche Zahl von Waldbränden, jeweils mit einer Fläche von mehr als 30 Hektaren.

 

Mehrere Feuerwehreinheiten gerieten in der Folge Mitte Juli stark unter Druck: Auf die Intensität solcher Waldbrände seien die Einsatzkräfte nicht genügend vorbereitet, so die öffentliche Warnung von Feuerwehrvertretern.

 

«Wir haben den Punkt erreicht, an dem es unmöglich ist, die Veränderungen zu ignorieren», sagt Chris Stark, der Direktor des Beratergremiums Climate Change Committee (CCC). «Die 40 Grad waren für viele ein Schock.»

 

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Politische Lethargie

 

Wird der Schock die Regierung zum Handeln anstossen? Noch sei dies nicht der Fall, sagen die Berater des CCC. Das Problem: Das Land sei «auffallend unvorbereitet».

 

In ganz Europa kann man ähnliche Verhaltensmuster beobachten. In den meisten Ländern gibt es laut der Europäischen Umweltagentur keine rechtlich verbindenden Auflagen, auch wenn sich das zunehmend durch die Annahme neuer Klimagesetze in den vergangenen Jahren ändere.

 

Das Thema – so notwendig wie kostspielig – zieht einfach nicht besonders. Es gibt keine eingängigen Ziele oder Zahlen, mit denen sich in der breiten Öffentlichkeit leicht punkten liesse. Die Nutzen und Vorteile sind lokal und zeigen sich oft erst nach längerer Zeit; überall sind die Anforderungen und Anfälligkeiten anders.

 

Auch spielt wohl ein weiterer Punkt eine Rolle. Die Tatsache, dass wir über Anpassung reden müssen, heisst ja auch: Die Klimapolitik der vergangenen Jahren hat nicht gegriffen. Wer möchte schon mit Scheitern assoziiert werden?

 

Das ist jedoch kurzsichtig. Und politisch fahrlässig. Noch steigen die Emissionen weiter an. Noch klettern Temperaturen stetig nach oben – mindestens so lange, bis die globalen CO2-Emissionen auf netto null gedrückt werden können.

 

Zu lange wurden Emissionsminderungen und Schritte zur Anpassung politisch gegeneinander ausgespielt. Umweltaktivisten hielten die Debatte bewusst flach, um bloss nicht von der mühsamen Aufgabe abzulenken, die Politik zu den notwendigen Emissionsminderungen zu bewegen.

 

Die Sorge mag verständlich gewesen sein zu einer Zeit, als der Klimaschutz noch keine breite politische Akzeptanz genoss. Heute kommt uns diese Einstellung womöglich teuer zu stehen. Dabei gilt auch: Ohne Emissionsminderungen geht es nicht. Wenn die Emissionen weiter steigen, werden wir uns nicht an alle Klimafolgen anpassen können.

 

 

Ein Sommer zur Anpassung

 

Im Sommer wird die konservative Regierung unter Premierminister Rishi Sunak einen neuen Plan vorlegen, wie sich das Land besser auf den Klimawandel vorbereiten kann. Weder habe sich das jetzige Programm mit allen Risiken beschäftigt, noch habe es dazu geführt, dass die Anfälligkeit und Verwundbarkeit des Landes ausreichend sinke, beklagte das CCC.

 

So gab eine Allianz junger britischer Ärzte erst im Frühling zu bedenken, dass sie ihre Arbeit in einer Infrastruktur verrichteten, «die für extreme Temperaturen völlig ungeeignet» sei. Sie setzten damit ihre Gesundheit und die von Patienten aufs Spiel.

 

Die Warnungen des CCC sollen nun Druck auf die Regierung machen. Das ist Teil der Rolle des Beratergremiums. Es wurde 2008 ins Leben gerufen, um die Regierung bei der Umsetzung ihres Klimagesetzes und der Emissionsziele zu beraten – und so weit wie möglich auf Kurs zu halten.

 

«Die vergangenen zehn Jahre waren eine verlorene Dekade», klagt Julia King, eine der führenden Beraterinnen des Gremiums. Mehr noch, die fehlende Dringlichkeit stehe im krassen Gegensatz zu den Erfahrungen der Menschen.

 

«Wenn wir irgendwo eine Überschwemmung haben, tauchen die Minister in Gummistiefeln auf, um ihre Anteilnahme und ihr Engagement zu zeigen. Danach lässt das politische Interesse recht schnell nach», so King.

 

 

 

Unter Wasser: Flutgefahr steigt

 

Politiker werden in den kommenden Jahren wohl häufiger ihre Gummistiefel auspacken müssen.

 

So könnten jährliche Überschwemmungsschäden in Grossbritannien im Laufe des Jahrhunderts um mindestens 13 Prozent zunehmen, wenn die Regierungen ihre heutigen Klimaverpflichtungen nicht umsetzen und die Temperaturen um über 2 Grad steigen. Das befand die Universität Bristol in einer neuen Studie im März.

 

Anders sieht es aus, wenn die Erderwärmung entsprechend den heutigen globalen Versprechen auf rund 1,8 Grad beschränkt werden kann. In dem Fall könnte der zusätzliche jährliche Schaden auf weniger als 5 Prozent begrenzt werden, so die Autoren.

Die Analyse zeige somit, dass «der grösste Teil des Hochwasserrisikos, das in Zukunft bestehen wird, bereits heute vorhanden ist», sagt der Hauptautor und Professor für Hydrologie Paul Bates im Gespräch. Überschwemmungen nähmen dort am stärksten zu, wo das Risiko bereits heute ausgeprägt sei.

 

Bates beklagt, dass die Schäden schon heute zu hoch seien, noch seien wir schlecht gewappnet. Das betrifft nicht nur Grossbritannien, sondern auch andere Länder in Europa wie Deutschland.

 

«Wir nennen diese Dinge Naturkatastrophen, aber normalerweise ist daran nichts Natürliches, so Bates. «Die meisten Untersuchungen nach einem Ereignis zeigen, dass es hätte vorhergesehen und besser bewältigt werden können.»

 

 

Eine neue Realität

 

Was braucht es also? King vom CCC sagt, die Politik müsse erst einmal definieren, was gute Anpassung bedeute – und mit welchen Risiken und Klimafolgen wir künftig leben könnten.

Praktisch ziehe das Fragen nach sich wie: «Wäre es akzeptabel, dass wir ab dem Jahr 2050 alle dreissig Jahre einmal eine grosse Dürre haben?» Die Antworten auf Fragen wie diese können dann von der Politik in konkrete Auflagen übersetzt werden. Und nur so könne man Investitionen anziehen, sagt King.

 

Denn es braucht viel Geld, um für Hochwasser vorzusorgen, Bäume zu pflanzen, die kühlen Schatten spenden, Gebäude zu isolieren, Reservoirs zu bauen und Infrastruktur gegen Hitze und heftigen Regen zu stärken. In Grossbritannien rechnet das CCC mit rund 10 Milliarden Pfund pro Jahr.

 

Nicht alles kann durch die öffentliche Hand kommen. Private Firmen, Wasserversorger und Energieunternehmen beispielsweise müssen Anreize haben, um zu investieren.

 

 

 

 

 

Highlights aus der NZZ zum Klimawandel

 

Der Brunnenmeister Hans-Peter Stöckli löscht das Licht im Grundwasserpumpwerk in Fischbach-Göslikon, 11. 4. 2023.

NZZ

 

  • Wassersorgen in der Schweiz: Auch im Wasserschloss droht Trockenheit. Die neue Realität verlangt Vorbereitung. Zum Artikel
  • Dürre in Spanien: In Spanien droht ein weiterer Dürresommer, es herrscht Wassermangel. Zum Artikel
  • Tiefe Lagerung: In Finnland entsteht das erste Atomendlager weltweit – Kritiker gibt es kaum. Zum Artikel

 

 

 

Highlights aus aller Welt

 

  • Der Emissionshandel in der EU wird ausgebaut. In der EU werden ab 2027 auch Heiz- und Kraftstoffe bepreist.
  • Die G-7 der reichsten Staaten hat am Wochenende unter der Führung Japans konkrete Ausbauziele für erneuerbare Energien beschlossen.
  • Beim Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen – allen voran die Kohle – konnten sich die Länder jedoch weiterhin nicht zu einem konkreten Endpunkt durchringen.

 

 

 

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