Beim Lesen des grossartigen Buches «Selbst Denken» von Harald Welzer, bin ich wieder auf den Begriff «Kognitive Dissonanz» gestossen. Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Die beiden Aussagen «Wir brauchen Wirtschaftswachstum» und «die Wirtschaft macht den Planeten kaputt» stellen eine typische kognitive Dissonanz dar. Kein Mensch ist fähig, mit diesen beiden Gedanken im Kopf glücklich zu leben. Denn daraus leitet sich der Zwang ab, im Interesse der Wirtschaft die Zukunft der eigenen Kinder zerstören zu müssen.
Unser Bedürfnis, diesen gefühlsmässigen Knoten zu lösen, ist stärker als die Rationalität. Einige umgehen das Problem, indem sie einfach die Klimaerwärmung leugnen. Sie nehmen kontrafaktisch an, dass die Wirtschaft der Umwelt nicht schadet. Die dafür erforderliche Ignoranz ist ein kleiner Preis für die Beruhigung des Gewissens.
Ein viel grösserer Teil der Bevölkerung setzt auf das Prinzip Hoffnung. Sie geben zwar zu, dass wir momentan ein Problem haben, sind aber zuversichtlich, dass eine Entkopplung von Wirtschaftsleistung und ökologischem Fußabdruck durch neue Technologie möglich sein wird. Deshalb ist das Diagramm unten so wichtig.


Siehe auch https://nordborg.ch/2018/08/12/sustainable-growth-is-an-oxymoron

Die roten Kurven zeigen die historischen globalen CO2-Emissionen (durchgezogen) und die Entwicklung, die gemäss IPCC für weniger als 1.5°C Erwärmung erforderlich wäre (gestrichelt). Die blauen Kurven zeigen die historische globale Wirtschaftsleistung (durchgezogen) und die Erwartungen der G20-Staaten (gestrichelt). Menschen, die eine solche Entwicklung für möglich halten, hoffen offensichtlich auf ein Wunder.
Es gibt aber eine einfachere Möglichkeit, die oben erwähnte kognitive Dissonanz aufzulösen. Denn selbstverständlich brauchen wir kein Wirtschaftswachstum! Das Ziel einer Volkswirtschaft ist doch, die Bedürfnisse der Menschen zu stillen, statt Konsumsucht zu fördern. Ich kann doch nicht jedes Jahr 2-3% mehr essen und es macht keinen Sinn, mehr Schuhe zu produzieren als es Füsse gibt. Da die Menschen der Industrienationen sogar in Überfluss leben, wäre es auch kein Problem, die Wirtschaftsleistung zu senken.
Die vermeintliche Notwendigkeit des Wirtschaftswachstums kommt daher, dass Kapitaleinkommen im Verhältnis zur Arbeit immer wichtiger wird, wie Piketty eindrücklich festgehalten hat. Kapitaleinkommen fordert eine Zunahme der Geldmenge, die es nur in einer wachsenden Wirtschaft geben kann. Der britische Ökonom Jason Hickel hat es so formuliert: «Wir sind bereit alles zu riskieren – buchstäblich alles – um die Reichen reicher zu machen». Wie kann es sein, dass heute 8 Menschen mehr besitzen als die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung? Sicher nicht durch harte Arbeit.


Jason Hickel on Twitter

Der Satz «die Wirtschaft muss wachsen» ist somit keine faktenbasierte Aussage, sondern ein Befehl. Um ein Infragestellen dieses Imperativs zu verhindern, wird keine Mühe gescheut. Täglich werden wir mit Wirtschaftszahlen und Börsenkursen bombardiert, welche belegen sollen, dass uns die Finanzgötter gnädig sind, weil wir bereit waren, das nötige Opfer zu erbringen. Der unsichtbare Gott ist durch die unsichtbare Hand des Marktes ersetzt worden, aber die profitmachende Angst ist die gleiche.
Es erstaunt
mich immer wieder, dass die meisten Menschen in der heutigen Gesellschaft nicht
mal verstehen, was Geld ist. Hier ein kleiner Test, ob Sie es verstanden haben:
Nehmen wir an, dass ein Goldgräber in die Berge geht und ein grösseres Stück Gold findet. Wir sind uns vermutlich einig, dass er dadurch reich geworden ist. Nach der Rückkehr in die Heimat kann er für das Gold Champagner, Kaviar und teure Kleider kaufen. Warum? Welchen volkswirtschaftlichen Beitrag hat er geleistet, der so fürstlich entlöhnt werden muss? Schließlich war ja der Goldklumpen vor ihm da und er hat ihn nur aufgehoben. Überlegen Sie sich. Es gibt eine einfache und eindeutige Antwort auf diese Frage am Ende des Artikels.


Patrick Chappatte -- http://www.chappatte.com

Aus meiner Sicht ist die Aussage «die Wirtschaft muss wachsen» nicht nur offensichtlich falsch, sondern er sollte sogar verboten werden. Damit werden Menschen in einen Zustand der kognitiven Dissonanz versetz, der sie sehr unglücklich macht. Sie schuften sich zu Tode, vernachlässigen die Kinder und stehen unter permanentem Leistungsdruck, damit das Bruttoinlandprodukt irgendwie ansteigt. Was wäre, wenn wir alle gleichzeitig aus dem Hamsterrad aussteigen würden? Die Aktien- und Finanzmärkte würden einbrechen, aber das ist mir ehrlich gesagt egal. Dafür kann ich etwas länger schlafen und gemütlich mit meiner Familie frühstücken.
Lösung des Rätsels: Durch das Finden des Goldklumpens, nimmt die verfügbare Goldmenge zu. Da Gold als Tauschmittel eingesetzt wird, gibt es jetzt mehr Gold, um das Gleiche zu kaufen. Dadurch werden die Goldersparnisse aller Menschen weniger wert. Der Goldgräber kann mehr kaufen, weil alle andere weniger kaufen können. Oder anders gesagt, er hat das Geld der anderen gestohlen. Dies ist ein Systemfehler, genauso wie Kryptowährungen keinen erkennbaren Nutzen haben.