Mittwoch, 8. Dezember 2021

UH/ Ethische Grundhaltung - Diskussionsbeiträge weiterhin erwünscht

UH/ Auch als Nicht-Ethikspezialist muss jeder Mensch in schwierigen Zeiten eine persönliche Grundhaltung haben, entweder in Gedanken, oder in (mehr oder weniger) ausformulierter Form. Nur das ermöglicht uns ein Handeln, das wir gegenüber uns selber und gegenüber Anderen rechtfertigen können.
Ich selber habe versucht, einige Gedanken dazu in der Mahnwache-Einladung  zu formulieren (Mahnwache jeweils Sa, 16.30 Bundesplatz). Hier ein Auszug davon, in leicht modifizierter Form:   ...

Es gab verschiedene Diskussionen, ob und wie man die Aktion von Guillermo unterstützen

solle. Einige äusserten, dass man  die Suiziddrohung eines dreifachen Vaters keinesfalls unterstützen dürfe, aus ethischen Gründen und erst recht mit Blick auf seine drei Kinder. Dies auch darum, weil der Suizid eine Gewaltanwendung  darstellt und der Zweck nie die Mittel heilige. - In der Diskussionsrunde der Klima-Grosseltern unterstützte niemand die Suiziddrohung per se. Etliche argumentierten, dass der Suizid am ehesten durch Kooperation mit Guillermo verhindert werden könne, in Übereinstimmung mit seinen Zielen, unabhängig von der moralischen Wertung des Vorhabens.

Meine persönliche Haltung geht auch in diese Richtung: Wir unterstützen die Suizidabsichten nicht, aber es ist nicht an uns, Guillermo zu verurteilen . 
Vielmehr sollen wir mithelfen, in der Schweizer Politik einen Klima-Fortschritt zu erzielen, der es Guillermo erlaubt, den Hungerstreik abzubrechen *) .

Das dürfte der beste, vielleicht der einzige Weg sein, den tödlichen Ausgang des Hungerstreiks zu vermeiden.

Konkret ist die Forderung von Guillermo nach einem Schulungsanlass für die Parlamentarier ein sinnvoller, unterstützenswerter Schritt in Richtung Klimaschutz. Wenn zur Schulung aufgeboten wird, wird er seinen Hungerstreik abbrechen.

Es besteht für einmal kein ethischer Konflikt: Die Politik muss sich nicht erpressen lassen und dabei etwas Schlechtes in Kauf nehmen, um etwas Gutes zu erreichen. Sie kann etwas Gutes tun (Schulung der Parlamentarier), um etwas Gutes (Rettung von Guillermo) zu erreichen.

Die IPCC- und IPBES-ForscherInnen um Prof. Julia Steinberger haben zu dieser Problematik eine ausgezeichnete Stellungnahme verfasst, die vielen dieser Bedenken Rechnung trägt, vgl.: https://drive.google.com/file/d/1NLIzaK94Dp5Jq9fYzxMvgVWUCDaIwXPf/view  (ganzer Text in E, D, F, I, je ca. eine Seite).
 
Zitat aus der Stellungnahme der Forschenden: 

"Einige von uns unterstützen Guillermo in seinem Hungerstreik, während andere bedauern, dass

es dieses extremen Schritts eines besorgten Vaters und Bürgers bedurfte, um das Thema auf

nationaler Ebene bekannt zu machen. Auf jeden Fall sind wir uns alle einig, dass eine direkte

Information der Schweizerischen Bundesversammlung und der Regierung über die

wissenschaftlichen Erkenntnisse des beispiellosen Ausmasses und der Schwere der Klima- und

Biodiversitätskrise, mit der wir konfrontiert sind, eine vernünftige Bitte ist, die honoriert

werden sollte."
(UH/ Sehr gut formuliert: die WissenschaftlerInnen bedauern nicht den extremen Schritt, sondern die Tatsache, dass es seiner bedurfte. Das heisst, sie enthalten sich einer moralischen Wertung) 

UH/ Ich kann mich auch sonst sehr gut mit der Formulierung der WissenschaftlerInnen identifizieren. Sie ist klar, nicht urteilend,  bedauert, dass es dieses extremen Schrittes bedurfte, unterstützt die Forderung von G., ruft zum Handeln auf und bietet Hilfe an.

Ich habe deshalb, zusammen mit anderen Vereinsmitgliedern, beantragt, dass sich die Klima-Grosseltern Schweiz hinter diese Verlautbarung stellen
Dem hat der nationale Vorstand der Klima-Grosseltern zugestimmt. (Vorstandsbeschluss vom 1.12.).

Mir schient, dass damit - bei allen Unterschieden - die Gemeinsamkeit in der Grundhaltung vieler Menschen, wohl auch vieler Vereinsmitglieder, gut abgebildet ist.
Diskussionsbeiträge von Vereinsmitgliedern oder anderen Blog-Lesenden sind jederzeit willkommen an uhagnauer@bluewin.ch .  Danke im Voraus!

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*)  UH/ Zum Vergleich:  

Die SAC-Rettungskolonne sucht die Kooperation mit einem Retter, der selber in Lebensgefahr schwebt. Es wäre viel zu gefährlich, ihn zwangsweise im schwierigen Gelände abzuseilen . (Zudem ist kein REGA-Flugwetter).

Wie wir wissen, ist eine unermessliche Zahl von Menschen durch die bevorstehende "Hölle auf Erden"  bedroht (Formulierung von Antonio Guterres), schon heute, erst recht in Zukunft. Millionen bis Milliarden von Menschen werden betroffen sein.
Mit den Menschen sind 
viele andere Lebewesen in grosser Gefahr

Es wurden Jahre und Jahrzehnte für die Diskussion über längst fällige Rettungsmöglichkeiten verwendet, ohne dass wirksame Taten folgten.

Ein Familienvater ist deshalb in grosser Sorge um die Zukunft seiner drei Kinder. Er unternimmt eine für ihn lebensgefährliche Rettungsaktion im gebirgigen, unwegsamen Gelände.
Da er fest entschlossen und bereits unterwegs ist, besteht kaum die Möglichkeit, ihn durch gutes Zureden, durch Hinweise auf familiäre Verpflichtungen und ethische Prinzipien zur Umkehr zu bewegen. 
Eine Möglichkeit (die einzige?) bietet sich an: Kooperation mit ihm, um so weit wie möglich seine - sehr sinnvollen, lebensrettenden - Ziele zu erreichen. 
Nur so besteht besteht die reelle Chance auf einen sicheren, begleiteten Abstieg.