Verrat an der Bevölkerung Von Kurt Stukenberg 05.01.2020, spiegelnde
Jung gegen Alt - das ist nicht die entscheidende Konfliktlinie in der Klimakrise. Der wahre Gegensatz tut sich auf zwischen den Interessen der fossilen Industrie und dem Schutz von Menschen.
Nirgendwo wird das deutlicher als in Australien. Dreizehn Tage ist es her, seit sich Scott Morrison öffentlich dazu entschieden hat, das Wohl der heimischen Kohleindustrie vor den Schutz der Bevölkerung zu stellen."Wir werden uns nicht auf unbesonnene Klimaziele einlassen
und heimische Industrien aufgeben, wodurch australische Arbeitsplätze gefährdet
würden", schrieb der Premierminister Australiens in einem Zeitungsbeitrag kurz vor Weihnachten. Ende
vergangener Woche bekräftige er seine Haltung noch einmal. Dies ist ein
bemerkenswert offenherziger Verrat eines Regierungschefs, dem Schutz von Leib
und Leben seiner Landsleute wichtiger sein sollte als alles andere.
Seit Oktober wüten in Australien gewaltige Buschbrände. In den besonders betroffenen Staaten New South
Wales und Victoria sind rund 140000 Menschen von den Feuern bedroht, Behörden
riefen den Notstand aus. 3000 Reservisten des Militärs wurden zu Hilfe gerufen
- eine Mobilmachung, wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Eine Fläche so groß wie die
Schweiz ist betroffen, Feuerwehrleute sind angesichts der schieren Dimension
des Infernos hilflos, mindestens 23 Menschen und nach Angaben von
Wissenschaftlern rund eine halbe Milliarde Tiere verloren ihr Leben. Und die Flammen wüten weiter.
Die Industrie, für
die Morrison offenbar bereit ist, erhebliche Teile seines Landes dem Feuer zu
überlassen, ist die Kohlebranche. Australien gehört neben Indonesien zum weltgrößten Exporteur des Rohstoffs und bezieht selbst drei Viertel
seiner Elektrizität aus der Kohleverstromung. Paradoxerweise ist es eben jene
Kohle, deren Verfeuerung wie kein zweiter Stoff zur Eskalation der Klimakrise
beiträgt und als Brandbeschleuniger für Katastrophen wie der in Australien wirkt (mehr zum Zusammenhang zwischen den
Buschbränden und der Klimakrise erfahren Sie hier).
Seit die Jugendbewegung Fridays for Future im
vergangenen Jahr zu einer bestimmenden politischen Kraft geworden ist, wurde
die Klimakrise oft als Generationenkonflikt diskutiert. Zu Recht werfen junge
Menschen den Älteren vor, in der Atmosphäre kaum noch Platz gelassen zu haben
für weitere Kohlendioxidemissionen - die Schüler von heute sind deshalb, anders
als ihre Eltern, zu einem Leben in CO2-Askese verdammt, wenn sie die Erderwärmung noch halbwegs beherrschbar halten wollen. Doch der eigentliche
Frontverlauf muss zwischen der fossilen Industrie und dem Rest der Welt gezogen
werden.
Jeder Preis ist recht
Eine kleine Gruppe
in den Führungsetagen der Kohle-, Öl-, und Gaskonzerne bereichert sich an der
fortwährenden Zerstörung des Planeten, während die
Mehrheit der Menschen die Folgen zu ertragen hat. Auch seit dem Klimaschutzabkommen
von Paris steigen die weltweiten Emissionen weiter an, während die Wissenschaft immer dringender zur Mäßigung mahnt. Doch statt die Kehrtwende
zumindest anzustreben, macht sich die fossile Industrie - unterstützt von
willigen Teilen der Politik - daran, die CO2-Emissionen in Zukunft sogar noch
zu steigern.
Im Sommer rechneten Klimaschützer vor, weltweit
seien derzeit neue Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 579 Gigawatt in Planung
oder im Bau - würden sie realisiert, stiege die Kohleleistung global um 29 Prozent an. Gleichzeitig mahnt der Weltklimarat, bis 2030 müsste ein Großteil aller
Kohlekraftwerke stillgelegt werden, um die Erwärmung des Planeten, wie in Paris
verabredet, zu bremsen. Niemand kann mehr behaupten, die Konsequenzen dieser
Geschäftspolitik nicht zu kennen. Vielmehr sind wir Zeuge einer Industrie, der
im Endspiel um ihre Zukunft nahezu jeder Preis recht ist.
In diesem Kampf hat sich Scott Morrison für eine
Seite entschieden: Für die Kohle - und gegen sein Land. Dabei ist Australien
auch unabhängig von den Buschbränden längst zu einem Frontstaat der Klimakrise
geworden: Das einzigartige Great Barrier Reef liegt seit spätestens 2016
akut im Sterben. Gestiegene Wassertemperaturen machen dem Ökosystem zu
schaffen. Im August fürchtete die Great Barrier Reef Marine Park Authority
(GBRMPA) gar, es könnte seinen Status als Weltkulturerbe verlieren.
Das Great Barrier Reef liegt im Sterben, doch die
Morrison-Regierung will die Kohleförderung ausbauen
In einem Regierungsbericht wurde der Zustand
erstmals von"schlecht" auf "sehr schlecht"
herabgestuft.
"Der Bericht macht auf die Tatsache aufmerksam, dass die Aussichten für
das Great Barrier Reef langfristig sehr schlecht sind - das ist hauptsächlich
auf den Klimawandel zurückzuführen", sagte David Wachenfeld,
Chief Scientists von GBRMPA. Doch die Morrison-Regierung plant nun auch noch
eine gigantische Kohlemine im Hinterland und will den Bau des weltgrößten
Kohlehafens Abbot Point direkt am Riff vorantreiben. Parallel haben zahlreiche
Regionen des Landes mit extremer Trockenheit zu kämpfen, im Dezember erlebte
Australien den heißesten Tag seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.
Eine Verbesserung der Lage ist nicht in Sicht, denn
inzwischen ist die australische Politik fest in den Händen der fossilen
Industrie. Erst 2018 musste Premierminister Malcom Turnbull nach nur drei Jahren
Amtszeit zurücktreten, eine entscheidende Rolle spielte dabei sein Vorhaben, so etwas wie Klimapolitik zu versuchen. Turnbull wollte den CO2-Ausstoß
des Stromsektors bis 2030 um 26 Prozent gegenüber 2005 senken. Ein fast
lächerlich unambitioniertes Ziel, das sogar das sonst übliche Basisjahr 1990
für die Berechnung von Klimaschutzzielen einfach umging. Doch der konservative
Teil seiner Partei verweigerte ihm die Zustimmung. Schärfster innerparteilicher
Gegner war der frühere Premier Tony Abott,
ein notorischer Klimaleugner, der erst am Freitag wieder für Aufsehen sorgte,
als er gegenüber einem israelischen Radiosender zum Besten gab, die vom
Menschen verursachten CO2-Emissionen könnten keinesfalls der Hauptgrund der Klimaveränderungen sein.
Schon bevor Scott Morrison im Mai zum
Premierminister gewählt wurde, stellte er öffentlich zur Schau, wem seine
Loyalität gilt. 2017 betrat er, damals Finanzminister, mit einem Kohleklumpen
in der Hand das Parlament in Canberra. "Das ist Kohle", erklärte er,
"haben Sie keine Angst davor. Es wird Ihnen nicht schaden."
Seit fast drei Monaten erleben seine Landsleute nun
am eigenen Leib, wie falsch er damit lag.