Sonntag, 5. Juni 2022

WWF Infomail: So stoppt die Politik die Energie-Verschwendung


WWF Infomail: So stoppt die Politik die Energie-Verschwendung - Efficacité énergétique –le géant endormi de la transition énergétique


      Energieeffizienz –

der schlafende Riese der Energiewende

 


Liebe Kolleginnen und Kollegen

«The first fuel» nennt es die Internationale Energieagentur, den ersten aller Energieträger – der schlafende Riese der Energiewende, sagen andere. Tatsache ist: Die sauberste Kilowattstunde ist jene, die wir nicht erzeugen müssen.

So stoppt die Politik die Energie-Verschwendung:

  1. Sie etabliert die Effizienz mittels Einsparverpflichtungen als Geschäftsfeld, das bewirtschaftet werden kann.
  2. Sie erhebt Betriebsoptimierung von technischen Anlagen zum Standard.
  3. Sie startet eine Offensive bei der Gebäudesanierung
  4. Sie ersetzt ineffiziente Anwendungen fossiler Energieträger mit Stromanwendungen
  5. Sie versteht das «Weniger» als Effizienz und fördert Kreislaufwirtschaft: Rethink, Reduce, Reuse, Repair, Recycle.

 

Energieeffizienz lohnt sich

Zum einen, weil die Dekarbonisierung von Strassenverkehr, Raumwärme und Warmwasser den

Stromverbrauch voraussichtlich steigen lassen wird. Zum anderen, weil wir die aktuelle Übernutzung der Ökosysteme reduzieren, wenn wir für unseren Energiehunger weniger zusätzliche Wasserkraftwerke, Windräder und Holzheizungen benötigen.

Technisch machbar

Die Effizienzpotenziale in den verschiedenen Sektoren sind riesig. Die Technik allein schafft meist Effizienzgewinne von zwei bis drei Prozent pro Jahr. So verbraucht heute ein neues Wohngebäude etwa halb so viel Heizenergie wie vor 20 Jahren – ein Fortschritt von 2,5 Prozent pro Jahr. Das aufgestaute und ungenutzte Effizienzpotenzial beträgt je nach Anwendung sogar 30 bis 70 Prozent des Energieverbrauchs. Beim Strom entspricht das theoretische Sparpotenzial dem ganzen AKW-Park der Schweiz.

Weshalb Effizienz (noch) kein Selbstläufer ist

Neben Solarmodulen auf dem Hausdach und prestigeträchtigen Power-to-X-Pilotanlagen sind gedämmte Gebäudehüllen und hocheffiziente Umwälzpumpen kommunikativ nicht attraktiv. Energieeffizienz ist meist unsichtbar und deshalb wenig sexy für die Politik.

Energie und Strom sind (oder waren bislang) zudem schlicht und einfach zu billig. Wenn sie teurer werden, landen die Kosten meistens bei jenen Nutzer:innen, die keinen Einfluss auf die grossen Energieverschwendungen nehmen können– also z. B. bei den Mieter:innen, die nicht über die Qualität der Gebäudehülle entscheiden.

Hinzu kommt, dass uns Menschen Einsparungen bei Energie häufig dazu verleiten, an anderer Stelle mehr zu verbrauchen: Das beim Heizen gesparte Geld wird zum Beispiel in eine Fernreise mit Flugzeug investiert. Dieser «Rebound-Effekt» frisst einen Teil der technisch möglichen Effizienzfortschritte auf. Deshalb sind grosse Effizienzgewinne wichtig, um den Energieverbrauch relevant zu senken.

Die Politik ist gefragt

Die bisherigen Rahmenbedingungen haben Verschwendung gefördert. So kann die Politik dies ändern:

  1. Sie etabliert die Effizienz mittels Einsparverpflichtungen als Geschäftsfeld, das bewirtschaftet werden kann.Dieses Instrumentwurde in einzelnen Gliedstaaten der USA vor rund 40 Jahren eingeführt. Mittlerweile wird es erfolgreich in vielen Ländern eingesetzt, darunter auch Österreich, Italien und Frankreich. In der Schweiz wird es auch von einzelnen städtischen Energieversorgern, z.B. in Genf oder Zürich gebraucht.
  2. Sie erhebt Betriebsoptimierung von technischen Anlagen zum Standard– eine schnell wirksame und rentable Massnahme. Am schnellsten lässt sich Energie sparen, indem wir in den bestehenden Anlagen weniger Energie verschwenden. Zum Beispiel bei falsch montierten Wärmepumpen oder nicht funktionierenden Messfühlern. Zwar enthalten die MuKEn Vorschriften zur Betriebsoptimierung. Doch die Kantone haben diese, wenn überhaupt, nur zaghaft eingeführt.
  3. Sie stösst eine Offensive bei der Gebäudesanierung an: Bei der Raumwärme gibt es das grösste Energiesparpotenzial. Doch der Gebäudebestand in der Schweiz wird so langsam saniert, dass er erst in rund 100 Jahren einen akzeptablen energetischen Standard erreichen würde. Deshalb braucht es eine Sanierungsoffensive. Die Kantone müssen ihre Energiegesetze so anpassen, dass die Gebäudehüllen bei allen Sanierungsarbeiten die Mindeststandards für Wärmeschutz erfüllen. Ausserdem braucht es – wie in der EU geplant –Mindesteffizienzstandards, die sämtliche Gebäude in 10-15 Jahren zu erfüllen haben. Höhere Zuschüsse aus dem Gebäudeprogramm und umfassende Finanzierungsangebote sollen bei der Umsetzung helfen.
  4. Sie ersetzt ineffiziente fossile Energieträger mit Stromanwendungen. Auch hier lässt sich viel Energie sparen. Der Motor eines Elektroautos weist beispielsweise einen Wirkungsgrad von 70-80% auf, derjenige eines Benziners liegt bei 20-25%. Dem dadurch künftig steigenden Stromverbrauch begegnen wir am wirksamsten durch Austauschvorschriften für die grössten Stromschleudern – Elektrowiderstandsheizungen. Ausserdem braucht es regelmässig verschärfte Effizienzstandards. Damit Geräte, die unnötig viel Strom brauchen, nicht mehr verkauft werden dürfen.
  5. Sie versteht das «Weniger» als Effizienz und fördert Kreislaufwirtschaft: Rethink, Reduce, Reuse, Repair, Recycle.In der Schweiz braucht es dringend einen Umgang mit Konsum- und Investitionsgütern, welcher die planetaren Grenzen miteinbezieht. Welche Dinge brauchen wir zum Leben und welche, um glücklich und zufrieden zu sein? Wie können Produkte und Märkte gestaltet werden, damit Wiederverwendung zur Norm wird? Wenn wir diese Fragen klären, können wir auch dem   Rebound-Effekt entgegenwirken. Die laufenden Arbeiten im Parlament zur Kreislaufwirtschaft sind eine wichtige Basis – die EU revidiert ebenfalls ihre Direktiven und die aktuell wieder hohen Rohstoffpreise helfen, dass innovative Geschäftsmodelle Fuss fassen. Wenn neben den Effizienzstandards auch effektive maximale CO2-Vorgaben für Produktion und Import von (Bau)-Materialien und Neuprodukten eingeführt werden, dann kann die Transformation gleichzeitig bei allen fünf «R» beschleunigt werden.

Effizienz ist nicht alles

Werden diese politischen Massnahmen umgesetzt, dann gelingt es uns, den heutigen Energiebedarf um mindestens ein Drittel zu verringern. Was wir dann immer noch brauchen, sind klima- und naturverträgliche Energiequellen für die verbleibenden zwei Drittel: Am erfolgversprechendsten ist ein rascher Ausbau der Photovoltaik. Denn Effizienz ist nicht alles – aber ohne Effizienz ist alles nichts.

Helfen Sie mit, dieses oben skizzierte Effizienzpaket real werden zu lassen? Wenn nicht jetzt – wann dann?

Patrick Hofstetter
Maschineningenieur und promovierter Umweltnaturwissenschaftler
Energie- und Klimaschutzexperte beim WWF Schweiz

 

Hier finden Sie diesen Artikel im PDF-Format zum Ablegen/Herunterladen. Weitere Ausgabe dieser Infomail finden Sie online.

Mit dieser Infomail informiert der WWF Schweiz Entscheidungsträger:innen und Expert:innen über unsere Lesart der aktuellen energie- und klimapolitischen Herausforderungen und über unsere Vorschläge für Energiezukunft und Dekarbonisierung. Gerne dürfen Sie diese Infomail an Interessierte weiterleiten. An- und Abmeldungen nehmen wir gerne über folgende Adresse entgegen: ClimateEnergy@wwf.ch




Patrick Hofstetter
Fachgruppenleiter Klima und Energie / Lead Climate and Energy
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