Neue Perspektiven und Chancen in der globalen Klimadebatte | Zusammen mit Sustainable Switzerland | | | von Christian Weymayr Wissenschaftsjournalist | | Was hinterlässt den grösseren Klimafussabdruck – der eigene Flug nach Mallorca oder die Katze des Nachbarn? Und wie viel bringt es, auf Ökostrom umzusteigen? Auf solche Fragen sollen Klimarechner Antworten geben. Ich habe den Selbsttest gemacht und vier Klimarechner mit eigenen Daten durchgespielt. Und das möglichst ehrlich. Über die Erfahrungen und darüber, was mir an den Rechnern besonders gut und auch nicht so gut gefällt, ist in der dieswöchigen Ausgabe zu lesen. | | Ausserdem geht es heute um das Kühlen von Städten, um die Überschwemmungen der Zukunft und um Klimaziele von Unternehmen. | | Wo stehe ich mit meiner Klimabilanz? Vier Klimarechner im Vergleich. | | Der Flug in die Ferien verschlechtert die persönliche Klimabilanz deutlich. | Imago | | «Was sind die Big Points, was die Peanuts?» Das war laut Stephan Schunkert, dem Gründer und Geschäftsführer von Klimaktiv, die ursprüngliche Motivation, einen Klimarechner zu programmieren. Man sollte sehen können, welches Verhalten einen grossen Fussabdruck hinterlässt und welches nur einen vernachlässigbaren. Wer sein Gemüse im Bioladen kauft, dafür aber zwei Hunde hält, sollte sich nicht der Illusion hingeben, ein Umweltschützer zu sein. | | Obwohl der 2007 veröffentlichte Rechner nach wissenschaftlichen Erkenntnissen laufend aufdatiert wird, bleibt vieles Auslegungssache. «Je tiefer man einsteigt, desto mehr ist unklar», sagt Schunkert. Fragezeichen gebe es beispielsweise bei der Bewertung des Ökostroms, der die deutschen ICE antreibe. Die Deutsche Bahn deklariert den Ökostrom mithilfe von Nachweisen einer grüner Herkunft des Stroms, wohingegen die Schweizer SBB ihren Strom zu 90 Prozent direkt aus Wasserkraftwerken beziehen. | | Sehr komplex ist auch das Verrechnen indirekter Lasten: Wie schlagen sich die Flugreisen einer PR-Firma in der Bilanz der Produkte nieder, die sie bewerben? Wie viele CO2-Äquivalente muss man jedem Einzelnen für die medizinische Infrastruktur anrechnen, auch wenn er sie gar nicht nutzt? «Solche Fragen führen zu langen Diskussionen bei uns», sagt Schunkert. Klare Antworten sind oft nicht möglich. | | Da Klimaktiv den eigenen Rechner auch für die Websites von Firmen, Organisationen und Behörden zur Verfügung stellt, ist er im deutschsprachigen Raum vermutlich das am weitesten verbreitete Werkzeug zur Ermittlung des CO2-Fussabdrucks. Rund fünf Millionen Personen hätten ihn schon genutzt, sagt Schunkert. | | Man findet im Netz aber auch Klimarechner anderer Anbieter, etwa von Myclimate, Climate Hero und WWF. Diese vier Rechner habe ich durchgespielt und verglichen. Mein Fazit: Sie unterscheiden sich überraschend stark voreinander – in Optik, Ansprache, Art der Fragen, Detailtiefe, im Angebot von Kompensationsprojekten und nicht zuletzt im Ergebnis. | | Um die eingangs gestellte Frage gleich hier zu beantworten: Eine mit Frischfleisch gefütterte Katze hat pro Jahr einen grösseren Fussabdruck als ein Flug nach Mallorca; wird sie mit Dosenfutter ernährt, einen kleineren. | | Klimaktiv – der Detailreiche | | Der Rechner von Klimaktiv mit Sitz in Tübingen beeindruckt mich durch seine Detailtiefe und Sachlichkeit. So wird beispielsweise nicht nur die Anzahl der Haustiere abgefragt, sondern auch, um welche Tierart es sich handelt, wie viel das Tier wiegt und wie es ernährt wird. Ein Vögelchen bringt es demnach auf 0,03 Tonnen CO2 im Jahr, eine Katze je nach Art des Futters auf 0,34 bis 0,75 Tonnen, ein Pferd auf 2,4 Tonnen und ein mit artgerechter Rohfütterung ernährter, mittelgrosser Bernhardiner auf 3,8 Tonnen. | | Vom Piepmatz abgesehen fallen Haustiere also definitiv unter die grossen Bilanzposten, die richtig ins Kontor schlagen. Allein die Katzen in der Schweiz emittieren rund 1 Millionen Tonnen CO2 im Jahr. | | Trotz aller Akribie bleibt manches nach meinem Geschmack etwas grob: So wird eine «fleischreduzierte Kost» im Begleittext mit 50 Gramm Fleisch pro Tag ausgewiesen, eine «Mischkost» mit 165 Gramm. Wer nur selten Fleisch isst, fällt durchs Raster, denn «Vegetarier» stimmt ja auch nicht. Hier wäre ein stufenloser Regler praktisch. Dafür kann man bei Strom und Heizung den tatsächlichen Verbrauch eintragen. | | Es macht Spass, mit den Einstellungen zu spielen: Wie viel macht es aus, wenn ich mehr lokales Obst und Gemüse einkaufe oder mehr Sport mache? Erhellend: Sport wirkt sich negativ auf die CO2-Bilanz aus, denn die zusätzlich verbrauchten Kalorien müssen ja irgendwo herkommen, und dabei wird CO2 freigesetzt. | | Ich habe für die Ermittlung meiner CO2-Bilanz im ersten Durchlauf etwa 20 Minuten gebraucht, mehr als bei den anderen Rechnern. Liest man die ausklappbaren, ausführlichen Erklärungen zu Methodik und Tipps, kann es auch noch weit länger dauern. Dafür lernt man umso mehr. Um auch eilige Nutzer zu bedienen, bietet Klimaktiv zusätzlich einen Schnellcheck an, der in einer Minute erledigt ist. Mein Ergebnis ist hier mit 12,3 Tonnen fast doppelt so hoch wie in der ausführlichen CO2-Bilanz mit 7,1 Tonnen. Ein schöner Service ist, dass man das Ergebnis speichern kann. | | Auf das Angebot von Kompensationszahlungen verzichtet Klimaktiv ganz bewusst. Sie wollten nicht den Eindruck erwecken, dass es ihnen primär um die Finanzierung der Projekte gehe, sagt Schunkert. | | Myclimate – der Projektorientierte | | Myclimate ist eine Schweizer Firma mit Sitz in Zürich und Ablegern in anderen Ländern. Ihr CO2-Rechner ist in mehrere separate Rechner aufgeteilt. Das ist sehr praktisch, weil man schnell für einzelne Bereiche, wie beispielsweise Flugreisen, Auto, Kreuzfahrten und Haushalt, konkrete Werte ermitteln kann. So erfahre ich beispielsweise, dass ein Flug von Frankfurt nach Melbourne in Australien mit einem A320 in der Economyclass hin und zurück die Emission von 5,9 Tonnen CO2 verursacht. Also vielleicht doch besser zum Wandern ins heimische Umland. | | Der allgemeine Rechner «Fussabdruck» ist entsprechend knapp gehalten. In acht Bereichen von Verkehrsmittel über Ernährung bis Heizsystem kann man jeweils zwischen zwei und vier Antworten wählen. Das geht wirklich fix. Was ich grossartig finde: Statt schematischer Kategorien werden lebensnahe Verhaltensmuster abgefragt. So kann man beim Thema Ernährung zwischen vier Aussagen wählen: «Ich ernähre mich vegan», «Ich ernähre mich mehrheitlich vegetarisch», «Ich esse im Schnitt jeden 2. Tag Fleisch» und «Ich esse fast bei jeder Mahlzeit Fleisch». Hier finde ich auch als Fast-Vegetarier mein passendes Feld. | | Optisch gefällt mir der Rechner sehr gut, er ist aufgeräumt und ansprechend. Unverkennbar ist aber der Wunsch der Betreiber, dass man am Ende ein Projekt unterstützen soll. So zeigt schon eine am oberen Rand eingeblendete Leiste mit den Stationen «Berechnen», «Auswählen», «Bezahlen», worauf das Ganze hinausläuft. | | Mit Myclimate lande ich bei 8,6 Tonnen. Meinen Fussabdruck kann ich kompensieren, indem ich Klimaschutzprojekte in Afrika, Asien und Lateinamerika unterstütze, und zwar zum Preis von 197 Euro – Donnerwetter, das nenne ich exakt. Der Button «In den Warenkorb» wirkt im Kontext von Klimaschutz etwas skurril. Alternativ kann ich Kocher für kenyanische Frauen für 222 Euro anschaffen, Kleinbauern in Nicaragua mit 211 Euro beim Aufforsten helfen oder mich an einem deutschen Moorprojekt mit 240 Euro beteiligen. | | Climate Hero – der Fröhliche | | Die in Schweden ansässige Firma Climate Hero bietet ihren Rechner seit 2017 an. Man kann zwischen sechs europäischen Sprachen wählen. | | Der Rechner von Climate Hero macht richtig Laune. Dazu trägt sein durchgehend grün gehaltenes, fröhliches und aufgeräumtes Design ebenso bei wie die persönliche Ansprache durch einen Roboter namens Climate Bot. Amüsant sind manche Antwortmöglichkeiten: Bei der Frage nach der persönlichen Einordnung kann man neben männlich und weiblich auch Roboter angeben. | | Beim Thema Reisegewohnheiten kommt am Ende die Frage «Aber was ist mit meinem Privatjet?». Das wirkt lustig, ist aber durchaus ernst gemeint. Da der Rechner auf die 10 Prozent der Weltbevölkerung zugeschnitten ist, die für die Hälfte der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind, würden Superreiche mit Privatjet nicht darunter fallen. Die können sich aber per E-Mail bei Climate Hero melden, um einen massgeschneiderten Plan zu bekommen. | | Der Rechner verspricht gleich auf der Startseite, dass er nur 5 Minuten in Anspruch nehme. Ich habe über 12 Minuten gebraucht. Da er auf Geschwindigkeit angelegt ist, bleibt manches holzschnittartig. | | Bei der Frage nach Haustieren kann man beispielsweise nur die Anzahl eingeben, pro Tier berechnet er pauschal 0,2 Tonnen. Beim Wohnen fragt er nur nach der Grösse der Wohnung, nicht aber nach dem tatsächlichen Energieverbrauch – Frieren für das Klima belohnt er also nicht. Dafür fragt der Rechner ausführlich nach einer zweiten Immobilie. Beim Thema Fleischkonsum will er nur den Verzehr von Rind oder Lamm wissen, die einen deutlich grösseren Klimafussabdruck haben als Schwein oder gar Huhn. | | Auch Haustiere wie Katzen beziehen die Klimarechner in die Bilanz ein. | Imago | | Die Fragen bauen aufeinander auf, und die Antwortmöglichkeiten sind gut durchdacht und ähnlich lebensnah wie beim Rechner von Myclimate. So hat man auf die Frage nach dem Umgang mit Lebensmittelabfällen die Wahl zwischen «Ich tue alles, um Lebensmittelabfälle zu vermeiden», «Ich versuche, sie zu vermeiden, könnte aber mehr tun» und «Ehrlich gesagt denke ich nicht wirklich darüber nach». | | Bevor man das Ergebnis bekommt, darf man raten: Ist man «Klimaschurke» mit mehr als 10 Tonnen CO2-Ausstoss, «Klimakonsument» mit 5 bis 10 Tonnen, «Klimafreund» mit 2 bis 5 Tonnen oder «Klimaheld» mit unter 2 Tonnen? Am Ende beträgt meine Bilanz 5,8 Tonnen, Glück gehabt, noch kein Schurke. | | Ich kann dann noch ermitteln, wo ich mein Verhalten ändern möchte. Das wertet der Rechner als «Klimaversprechen». Was dann noch übrig bleibt, kann ich – deutlich dezenter und moderater als bei Myclimate – mit 12 Euro im Monat für Klimaschutzprojekte kompensieren, und zwar nach Angaben von Climate Hero zu 200 Prozent. | | Der relativ nüchtern gehaltene Klimarechner des WWF führt in nur 35 Fragen zum Endergebnis. Gut gefällt mir, dass der CO2-Abdruck nach jeder Frage direkt angezeigt wird. Ich kann also herumspielen und beispielsweise sofort sehen, dass beim Konsum von Milchprodukten «mehr als 10 Portionen am Tag» 0,81 Tonnen CO2 erzeugen und «weniger als 1 Mal pro Woche» nur 0,02 Tonnen. Insgesamt gibt es sieben Abstufungen. | | Ich kann meinen Fussabdruck auch reduzieren, was auf mich motivierend wirkt: Beispielsweise um 0,08 Tonnen, wenn etwa die Hälfte der Produkte ein Label wie Bio, MSC oder Fairtrade tragen, oder sogar um 0,21 Tonnen, wenn ich Lebensmittel «sozusagen nie» wegwerfe. Als Messlatte, ob man etwas abgezogen oder draufgeschlagen bekommt, dient offenbar ein Durchschnittswert. So bekomme ich 0,24 Tonnen abgezogen, wenn ich mein Zuhause auf 19 Grad heize, und 0,24 Tonnen addiert, wenn es über 23 Grad sind. | | Etwas umständlich finde ich die Ermittlung des Stromverbrauchs. Statt direkt den tatsächlichen Verbrauch angeben zu können, wird nach der Effizienzklasse der Beleuchtung und der Haushaltsgeräte gefragt, nach der Art der Kühlgeräte und danach, wie warm man die Wäsche wäscht und wie man sie trocknet. «Viele Menschen kennen den Verbrauch der Haushaltsgeräte nicht genau, deshalb ergibt es mehr Sinn, nach den Haushaltsgeräten selbst zu fragen und Mittelwerte zu nutzen», sagt Lea Vranicar vom WWF. Wer es genauer wissen wolle, dem empfehle sie den Rechner des deutschen Umweltbundesamts, also den von Klimaktiv. | | Mit meinem Endergebnis von 11,3 Tonnen, dem mit Abstand höchsten von allen Rechnern, liege ich zwar noch unter dem deutschen Durchschnitt, aber weit über dem weltweiten Durchschnitt von 6,4 Tonnen. Man brauchte, so rechnet mir der WWF vor, 2,7 Erden, wenn alle so leben würden wie ich. | | Dass meine Ergebnisse bei den vier Rechnern so weit auseinanderliegen, hat vor allem zwei Gründe, denke ich: Zum einen liegt es wohl an den unterschiedlichen Prämissen für die Berechnungen im Hintergrund, vor allem aber an der Art der Fragen und daran, und wie sie meine Situation in Zahlen fassen: | | Wie exakt die Ergebnisse meinen tatsächlichen Fussabdruck am Ende abbilden, ist aber vielleicht gar nicht so wichtig. Denn alle Rechner sind sich einig: Mein Fussabdruck ist zu hoch, um im globalen Sinne nachhaltig zu sein. Das habe ich auch schon vorher vermutet. | | Was also haben mir die Rechner gebracht? Ich kann jetzt besser einschätzen, was die Big Points und was die Peanuts sind und worauf ich mehr achten sollte. Die Ergebnisse motivieren mich, noch mehr zu tun. So habe ich beim letzten Einkauf auf Kartoffeln verzichtet, weil alle entweder aus Ägypten oder aus Zypern kamen. Aber – um ehrlich zu sein – die Ergebnisse ernüchtern mich auch. Denn auch wenn ich alles, wozu ich bereit bin, konsequent umsetze, lebe ich auf Kosten zukünftiger Generationen. | | Und selbst wenn ich weit über meine Schmerzgrenze hinausginge und mein Leben auf ein Existenzminimum herunterfahren würde, wäre mein Klimafussabdruck immer noch zu gross – allein schon, weil ich in einem Land wie der Schweiz oder Deutschland mit sehr hohem Lebensstandard lebe. Ob die Politik in der Lage und auch willens ist, diesen gesamtgesellschaftlichen Fussabdruck ausreichend zu reduzieren? Wir werden es in den kommenden Jahren sehen. | | Inhalte aus Sustainable Switzerland | | Eine Initiative des Unternehmens NZZ mit führenden Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft. | Weitere Highlights zum Klimawandel aus der NZZ | | Bäume sind das beste Mittel, um Stadtquartiere zu kühlen. Aber nicht immer ist der dazu notwendige Platz vorhanden. | Michael Buholzer / Keystone | | - Stadt: Bäume kühlen die Stadt am effektivsten – doch in Zürich werden sie immer weniger. Künstliche Alternativen bewähren sich nicht. Zum Artikel
- Hochwasser: Die Schweiz erlebte in den vergangenen Tagen schwere Hochwasser, vor allem im Wallis und in Graubünden. Müssen wir in Zukunft vermehrt mit solchen Hochwassersituationen rechnen? Antworten gibt der Hydrologe Andreas Zischg. Zum Interview
- Wirtschaft und Klima: Erste Unternehmen kassieren ihre Klimaziele. Das muss kein Nachteil sein: Realitätssinn hilft dem Klima mehr als Greenwashing. Zum Kommentar
| Highlights aus aller Welt | | - ☀️ Die weltweite Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen ist 2023 auf ein neues Rekordniveau gestiegen. Das liege vor allem am Ausbau der Solar- und Windenergie, heisst es in der Statistical Review of World Energy von Energy Institute, KPMG und Kearney.
- 🛢️ Trotzdem erreichte der Verbrauch fossiler Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas im vergangenen Jahr global ein Rekordhoch. Die CO2-Emissionen stiegen gemäss dem Bericht erstmals knapp über 40 Gigatonnen.
- 🌍 Die Abhängigkeit der grossen Industrieländer von fossilen Brennstoffen scheint aber inzwischen einen Gipfel erreicht zu haben. In Europa zum Beispiel sank der Anteil der fossilen Brennstoffe an der Primärenergie auf unter 70 Prozent – zum ersten Mal seit der industriellen Revolution.
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