Montag, 6. Mai 2024

Georg Klingler von Greenpeace, via Klima-Allianz: EGMR Urteil der KlimaSeniorinnen unterstützen

UH/ Links/Hinweise von Georg Klingler auf wichtige Lektüre.
Hier publiziert mit Genehmigung von Georg Klingler.

Liebe Mitglieder der Klima-Allianz, liebe Klima- und Menschenrechts-Engagierte, 

Ihr bekommt sicher mit, wie aufgeheizt über das Urteil im Fall der KlimaSeniorinnen geschrieben und debattiert wird. Dabei werden viele falsche Behauptungen verbreitet. 

Wir möchten euch einladen, euch in die Debatte einzubringen mit dem Ziel, die Menschenrechte und den EGMR zu stärken. Wenn ihr selbst Rechtspersonen, Menschenrechts- oder Klimacracks in eurer Organisation habt, dann wäre es WICHTIG, dass ihr das Urteil euren Leuten z.B. im Magazin, Newsletter, Blog oder ähnlichem näher bringt. Denn es gibt auch viele Missverständnisse in Kreisen, die Umweltschutz und Menschenrechte unterstützen. Hier ist eine rechtliche Zusammenfassung des Urteils und hier ist unsere Medienmitteilung zum Urteil mit Links auf das Urteil sowie weitere Dokumente des EGMR. 

Der Kern des Urteils ist aus meiner Sicht:

Die nüchterne gerichtliche Überprüfung der Fakten kommt zum Schluss, dass der aktuelle Klimaschutz-Kurs unsere Menschenrechte jetzt und vor allem in Zukunft insgesamt gefährdet. Darum ist eine Kurskorrektur aus menschenrechtlicher

Sicht geboten.
(Zur Einordnung: Der EGMR steht d
amit nicht alleine auf weiter Flur, denn Gerichte in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich oder auch Belgien kamen in nationalen Verfahren schon zu ähnlichen Schlüssen.)
Angesichts der wissenschaftlichen Fakten zu den Folgen des sich aufheizenden Klimas, des Risikos von unumkehrbaren Entwicklungen und der zeitlichen Notwendigkeit, ins Handeln zu kommen, verwundert das auch nicht weiter. Was mich überrascht hat, ist, dass etliche Medienschaffende ohne jeden Bezug zu den Gefahren der Klimaerwärmung gegen das Urteil anschreiben. Doch genau um das geht es: Nüchtern betrachtet ist die fortschreitende Klimaerwärmung die grösste Bedrohung der Menschenrechte. 

Das Urteil ist sorgfältig formuliert und greift nicht direkt in die gesetzgeberischen Kompetenzen ein. Der EGMR übersteuert auch keinen Volksentscheid, wie oft behauptet wird. Richtig ist: er stösst eine Anpassung an, die - sofern Massnahmen nicht in der Kompetenz des Bundesrates liegen -  einen gesetzgeberischen Prozess brauchen. Dies mit dem Ziel, die Verletzung der Menschenrechte zu beheben. Ein solcher Prozess wird demokratisch geführt, genau wie andere auch.

 

Um zu verhindern, dass die Menschenrechte weiter gefährdet werden, definiert der EGMR, dass ein Land wie die Schweiz genug tun muss, um die selbst eingegangenen Verpflichtungen zur Vermeidung einer gefährlichen Störung des Klimasystems im Rahmen der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) erfüllen zu können. Diesbezüglich bemerkt der EGMR, dass dies von der Schweiz gar nicht bestritten wird und auch schon Teil der demokratisch festgelegten geltenden schweizer Rechtsordnung ist.

 

Die ungenügenden Zielsetzungen müssen nun korrigiert werden. Angesichts der Tragweite für die Menschenrechte schreibt das Gericht, dass dabei wissenschaftlich seriös vorgegangen werden muss. Der gesetzliche Rahmen muss dafür sorgen, 

  • dass die Emissionen im Einklang mit den gesetzten Zielen der UNFCCC zur Vermeidung einer gefährlichen Störung des Klimasystems und des Abkommens von Paris mit dem Ziel einer Begrenzung auf maximal 1.5°C tatsächlich runter gehen 
  • dass jetzt gehandelt werden muss, denn die Handlungen im aktuellen Jahrzehnt sind entscheidend, um die beabsichtigte Stabilisierung überhaupt noch einhalten zu können, 
  • dass die Schweiz ihren fairen Beitrag dazu leistet, dass das global verbleibende CO2-Budget für die Stabilisierung des Temperaturanstiegs eingehalten werden kann. 

Damit reagiert der EGMR auf die Tatsache, dass die Schweiz keine robusten Grundlagen für die Ausarbeitung der Klimapolitik und die Festlegung der Ziele erstellt hat. Der von der Schweiz bemühte allgemeine Bezug auf die globalen Emissionspfade der neuesten IPCC-Berichte reicht nicht aus, um einen fairen Beitrag für ein Land zu bestimmen. Er führt vielmehr dazu, dass die Schweiz das noch verbleibende CO2-Budget heftig überbeansprucht. Wenn alle so handeln würden wie die Schweiz, ist die Begrenzung des gefährlichen Temperaturanstiegs auf 1.5°C nicht möglich. Ich habe diese nicht immer einfach verständliche Thematik in einem Blog aufgearbeitet.  


Die Stabilisierung des Temperaturanstiegs muss gelingen, um Menschenrechte heute und in Zukunft schützen zu können. Dabei ist nirgends davon die Rede, dass die Schweiz im Alleingang handeln muss. Vielmehr ist es ein Leiturteil für alle 46 Länder des Europarats. Jedes Land muss seinen fairen Beitrag an die Lösung des kollektiven Problems leisten. Trittbrettfahren ist nicht erlaubt. Der EGMR hat für die Entscheidfindung die neuesten IPCC-Berichte konsultiert und die darin beschriebenen Risiken des sich aufheizenden Klimas berücksichtigt. Leute, die sich mit den wissenschaftlichen Fakten auseinandersetzen, werden darum auch nicht überrascht sein, dass der EGMR die Veränderungen schon heute für gefährlich hält und zum Schluss kommt, dass beim aktuellen Kurs das Wohlergehen der Menschen in Zukunft insgesamt gefährdet ist. 

Der EGMR betont im Urteil immer wieder die grosse Wahrscheinlichkeit verheerender Auswirkungen einer nicht mehr umkehrbaren Entwicklung, wenn die Erwärmung, wie aktuell absehbar, weiter steigt. Dabei stützt er sich auf die neueste wissenschaftliche Faktenlage ab, die leider alarmierend ist. Das Urteil ist eine Chance, endlich in die Gänge zu kommen und eine lebenswerte Zukunft für uns alle zu sichern. Es wurde in einem Fall gegen die Schweiz gefällt, nicht weil die Schweiz besonders schlecht ist oder so, sondern weil der Fall der erste dieser Art vor dem EGMR war.  

Die Zusammenfassung des Urteils auf 20 Seiten mit Original-Auszügen des Urteils auf englisch im Anhang soll helfen, dieses besser zu verstehen.  

 

Während die offizielle Schweiz nun etwas Zeit hat, um das Urteil zu analysieren und die Schlüsse daraus zu ziehen, können wir uns alle für die nächste Etappe beim Klimaschutz einsetzen. Ihr wisst es sicher alle: ein fettes JA zum Stromgesetz am 9. Juni ist der wichtigste nächste Schritt für die notwendige Dekarbonisierung und eine unabhängige Energieversorgung der Schweiz. 

 

Es folgt auch ein ausführliches Q&A zur Debatte - ich werde das nachsenden, sobald wir es bereit haben. Ebenso wird die französische Übersetzung der Zusammenfassung folgen. Das gesamte Urteil liegt schon auf französisch vor.